OR 2015 in Wien
von ANDREAS FINK, Hamburg
Die Universität Wien feiert im Jahr 2015 unter dem Slogan »Wir stellen die Fragen. Seit 1365.« ihr 650. Gründungsjubiläum. Auch das Operations Research befasst sich mit Fragen, nämlich nach bestmöglichen Entscheidungen. Unter diesem Eindruck fand die jährliche GOR-Tagung in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Operations Research (ÖGOR) und der Schweizerischen Vereinigung für Operations Research (SVOR) vom 1. bis 4. September 2015 an der Universität Wien statt. Die Konferenzmotto »Optimal Decisions and Big Data« betont das Potenzial für einen erweiterten Einbezug von Daten in Entscheidungsmodellen, was zu Herausforderungen in der Sammlung und Nutzbarmachung solcher Daten zur Entscheidungsunterstützung führt.
Die Konferenzteilnehmer wurden am Dienstagnachmittag bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen über 30 Grad im traumhaften Ambiente des Arkadenhofs im Hauptgebäude der Universität Wien begrüßt. Unter musikalischer Begleitung und Versorgung durch kühle Getränke und süße und herzhafte Snacks konnte man einen traumhaften Abend mit alten und neuen Freunden verbringen. Ein Highlight war die Möglichkeit zum Besuch der Ausstellung zum Wiener Kreis – einer außergewöhnliche Gruppe von Philosophen, Mathematikern, Natur- und Geisteswissenschaftlern, die sich von 1924 bis 1936 regelmäßig trafen, um eine wissenschaftliche Weltauffassung zu entwickeln und zu verbreiten – mit einer exklusiven Führung von Karl Sigmund, einem der beiden Kuratoren der Ausstellung.
Pünktlich zur offiziellen Konferenzeröffnung am Mittwochmorgen kühlten die Temperaturen angenehm ab und der aufgrund einer leistungsfähigen Prognose in der Konferenztasche zur Verfügung gestellte Regenschirm konnte auch gelegentlich eingesetzt werden. In der Eröffnungssitzung im Audimax begrüßten zunächst Georg Pflug (Hauptverantwortlicher für die Konferenz und Leiter des Organisationskomitees) sowie Oliver Fabel (Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien) die fast 900 Teilnehmer aus 48 Ländern. Nach einem Überblick zur Programmgestaltung durch den Leiter des Programmkomitees, Gernot Tragler, folgten Grußworte durch die Präsidenten bzw. die Präsidentin der drei ausrichtenden Gesellschaften (Marc Reimann, Luca Maria Gambardella, Leena Suhl). Anschließend wurden die Preise der GOR verliehen. Für ihre Masterarbeiten wurden Isabel Podlinski, Gregor Hendel und Heide Hoppmann und für herausragende Dissertationen wurden Timo Berthold, Philipp von Falkenhausen, Markus Frey und Daniel Schmidt ausgezeichnet. Den zweijährlich verliehenen Wissenschaftspreis der GOR erhielt Horst Hamacher; die Laudatio hielt Anita Schöbel. Der abschließende Hauptbestandteil der Konferenzeröffnungssitzung war der Plenarvortrag von Matteo Fischetti unter dem Titel »Thin Models for Big Data« (mit Unterstützung durch die EURO – Association of European Operational Research Societies). Matteo Fischetti betonte in seinem Vortrag die Bedeutung von mathematischer Optimierung als Kernaspekt hinter dem modernen Begriff »Prescriptive Analytics« und betrachtete – hinsichtlich der offenbar immer umfangreicheren Problemstellungen (»Big Data«) – die Aufgabe, die Skalierbarkeit heuristischer und exakter Methoden zu verbessern. Hierzu ging er näher auf Ansätze für eine möglichst einfache mathematische Modellierung sowie hiermit in Verbindung stehende (Benders-) Dekompositionsverfahren ein.
Die grundsätzliche Planung der Konferenz erfolgte in guter Zusammenarbeit durch die Programm- und Organisationskomitees. Die Semi-Plenar-Vorträge der OR2015 wurden bestritten von Margaret Brandeau (Optimization and Disease Control: Investment in Public Health Interventions), William Cook (The Traveling Salesman Problem: A Blueprint for Optimization), Lars Grüne (From now to infinity: decision making on a moving horizon), Dennis Huisman (Developments and Experiments in Crew Rescheduling at Netherlands Railways), Janny Leung (Humanitarian Logistics: Models and Challenges), Stefan Minner (Data-driven inventory management – recent advances and research challenges), Torsten Möller (Visual data science – Advancing science through visual reasoning), Andras Prekopa (Moment Problems: Important Source of Ideas in Optimization), Ruben Ruiz García (Scheduling with simple Iterated Greedy Algorithms), Daniele Vigo (Fifty Years of Heuristic Algorithms for the Vehicle Routing Problem«), David Wozabal (Dampening the Curse of Dimensionality: Decomposition Methods for Markov Decision Processes) sowie Horst Hamacher (GOR Wissenschaftspreis). Das weitere Themenfeld der Tagung wurde in 27 Streams organisiert: Accounting & Revenue Management, Analytics, Bioinformatics, Computational & Experimental Economics, Continuous Optimization, Control Theory, Discrete Optimization, Energy & Environment, Financial Modeling, Forecasting, Game Theory, Graphs & Networks, Health & Disaster Aid, Integer Programming, Logistics & Transportation, Metaheuristics, Multiple Criteria Decision Making, Neural Nets & Fuzzy Systems, OR for Security, OR Software & Modeling Languages, Policy Modeling & Public Sector OR, Production & Operations Management, Scheduling & Project Management, Simulation & Decision Support, Stochastic Models, Stochastic Optimization, Supply Chain Management. Die meisten Vorträge hatte »Logistics & Transportation« zu verzeichnen, was für diesen Stream notwendigerweise zu vierfach zeitlich parallel durchgeführten Sessions führte. Insgesamt gab es mehr als 600 Vorträge, die alle im Hauptgebäude der Universität Wien stattfinden konnten. Während die undurchschaubare Systematik der Raumnummern im ausgedehnten Gebäude bis zuletzt auch Mathematikern Probleme bereitete, ging letztlich wohl doch niemand verloren.
Die Veranstaltung am Mittwochabend fand auf Einladung des Bürgermeisters der Stadt Wien im Festsaal des im neogotischen Stil erbauten Wiener Rathauses statt. Der Empfang hatte den Charakter eines Konferenz-Dinners, was für die verschiedenen Ehrungen einen schönen Rahmen darstellte:
Gustav Feichtinger wurde anlässlich seines kurz zurückliegenden 75. Geburtstags gefeiert; den jüngeren Konferenzteilnehmern wurden hierzu seine vielfältigen Leistungen in einer Laudatio von Gernot Tragler näher gebracht. András Prékopa wurde anlässlich seines kurz bevorstehenden 86. Geburtstags geehrt; Georg Pflug würdigte den »Vater des ungarischen Operations Research«. Der dritte Geehrte war Georg Pflug selbst: Dieser wurde aufgrund seiner Verdienste, nicht zuletzt auch wegen seines nachdrücklichen Engagements bei der Organisation von wissenschaftlichen Tagungen, so sinngemäß Ronald Hochreiter, zum ÖGOR-Ehrenmitglied ernannt.
Neben den oben erwähnten Hauptbestandteilen des wissenschaftlichen Programms gab es eine Reihe weiterer fachlicher Angebote: Am Dienstag fanden Pre-Conference Workshops von ausstellenden Unternehmen statt. Am Donnerstag gab es ein Emerging Scholar Program für Nachwuchsforscher (organisiert und unterstützt durch John Kanet, Peter Letmathe und Erwin Pesch), Vorträge aus der Praxis im Rahmen eines Business Days (organisiert durch Josef Kallrath) sowie einen IBM Decision Optimization Customer Day.
Nach der GOR-Mitgliederversammlung am späten Donnerstagnachmittag fand am Abend das separat zu buchende Konferenz-Dinner in uriger Atmosphäre beim Heurigen Bach-Hengl statt. Nach einer vorausgehenden Problemdekomposition ging es durch farbige Armbänder markiert mit Bus oder Straßenbahn in das Lokal nach Grinzing. Selbstverständlich gab es die typischen österreichischen Gerichte und Weine. Nicht selbstverständlich ist es hingegen, dass die Ausrichter der Konferenz selbst die sogenannte Schrammelmusik beisteuerten; so griff unter anderem Georg Pflug zu seiner Geige.
Steven Scott von Google machte in seinem abschließenden Plenarvortrag am Freitag die Praxisrelevanz von Methoden der Bayesschen Statistik deutlich. Unter dem Titel »Bayes and Big Data: The Consensus Monte Carlo Algorithm« ging er auf die besonderen Herausforderungen großer Datenmengen ein und stellte leistungsfähige Methoden zur verteilten approximativen Datenanalyse vor; dies wurde durch Beispiele zur Personalisierung von Diensten im Internet illustriert. Nach einer anschließenden Einladung zu den kommenden Konferenzen von GOR, EURO und IFORS durch die jeweiligen Delegierten erhielten die Wiener Veranstalter unter der Leitung von Georg Pflug mit den vielen Helfern vor und hinter den Kulissen ihren verdienten großen Applaus auf der Bühne. Der Berichterstatter dankt dem Wiener Team für die herausragende Gastfreundschaft und freut sich auf ein Wiedersehen in Hamburg zur OR2016 (or2016.de, @or2016de)!