Laudatio auf Prof. Dr. Martin Grötschel

von UWE ZIMMERMANN, BRAUNSCHWEIG

Prof. Dr. Martin Grötschel (Mitte) bei der Preisverleihung
Prof. Dr. Martin Grötschel (Mitte) bei der Preisverleihung

Prof. Dr. Martin Grötschel (Mitte) bei der Preisverleihung

Sehr geehrter Herr Staatssekretär,
sehr geehrter Herr Rektor,
sehr geehrte Herren Vorsitzende,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,

die Gesellschaft für Operations Research (GOR) verleiht alle zwei Jahre einen Preis für ein wissenschaftliches Gesamtwerk. Der Preis wird an Wissenschaftler vergeben, die in Ihrem Werk durch herausragende Leistungen zur Weiterentwicklung der in der GOR vertretenen Gebiete beigetragen haben. Preisträger können deutsche oder ausländische Wissenschaftler aus Hochschulen, Forschungsinstituten oder aus der Praxis sein.

Der diesjährige Preisträger gehört zu den wenigen deutschen Wissenschaftlern meiner Generation, die national und international so deutlich herausragen, dass sich eine Laudatio eigentlich erübrigt. Eine Auswahl seiner bisherigen Auszeichnungen kennzeichnet in ihrer Vielfalt bereits den Preisträger:

  • 1982 Fulkerson Prize (American Math Soc / Math Prog Soc)
  • 1990 Beckurts-Preis (Karl Heinz Beckurts-Stifung)
  • 1991 Dantzig Prize (Soc of Industr.+Appl Math / Math Prog Soc)
  • 1995 Leibniz Preis (Deutsche Forschungsgemeinschaft)
  • 1995 Gewähltes Mitglied der Berlin-Brandenburgischen
    Akademie der Wissenschaften
  • 1998 Ehrenmitglied der Deutschen Mathematiker-Vereinigung
  • 1999 Foreign Associate of the National Academy of Engineering, USA

Sein erfolgreiches, nationales und internationales Engagement in Wissenschaft, Praxis und Wissenschaftsbetrieb erscheint mir untrennbar miteinander verknüpft. Die Basis dieses Erfolgs bildet eine ausgesprochen produktive wissenschaftliche Tätigkeit gepaart mit der offenkundigen Begabung, andere zu motivieren und zu überzeugen.

Seine wissenschaftliche Laufbahn begann er als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Ökonomie und Operations Research unter der Leitung von Herrn Professor Bernhard Korte. Diese Zeit von 1973 bis 1982 hat ihn, soweit dass bei der ihm eigenen schon damals recht ausgereiften Persönlichkeit möglich war, geprägt. Die dort gegebenen exzellenten Möglichkeiten, mit vielen ausländischen Gastwissenschaftlern im engen Kontakt zu forschen und gleichzeitig über den akademischen Rand hinaus zu sehen, hat er entschieden zu nutzen gewusst und verinnerlicht.

Nach seiner Bonner Habilitation übernahm er im Alter von 34 Jahren den ersten Lehrstuhl am Institut für Mathematik der Universität Augsburg. Gemeinsam mit den dortigen Kollegen, an erster Stelle zusammen mit Herrn Professor Karl Heinz Hoffmann, einem Kollegen von ähnlichem Durchsetzungsvermögen, etablierte er in kürzester Zeit einen ausgesprochen erfolgreichen Studiengang Wirtschaftsmathematik mit starkem Schwerpunkt in Optimierung und Operations Research. Dem 1991 erfolgten Ruf an das Konrad Zuse Zentrum für Informationstechnik in Berlin zu folgen, fiel ihm sicherlich nicht leicht. Die Aufgabe, als Vizepräsident eine große Forschungsinstitution verantwortlich zu gestalten, bietet sich jedoch nur selten und ist eine Herausforderung, die nur wenige zu schultern vermögen. Die an diesem Institut nicht nur mögliche sondern explizit geforderte Verbindung von Theorie und Praxis der Optimierung bzw. des Operations Research entspricht allerdings, meiner Einschätzung nach, genau der inneren Motivation unseres Preisträgers.

Die erfolgreiche Bewältigung dieser Aufgabenstellung ohne jedwede Abstriche im wissenschaftlichen, theorieorientierten Bereich hat unserer Wissenschaft insgesamt gedient und ist für mich eine der wesentlichen Begründungen für die heutige Vergabe des Preises der GOR an Martin Grötschel.

Lassen Sie mich nun noch einige wenige Fakten zusammenstellen.

Das Spektrum seiner wissenschaftlichen Publikationen, von denen an die 100 im Zentralblatt der Mathematik verzeichnet und kommentiert sind, weist ihn als exzellenten Mathematiker aus, der das Instrumentarium der Reinen und Angewandten Mathematik mit sicherem Können einsetzt. Die Themen, die er aufgreift, sind breit gestreut. Schwierige theoretische Fragestellungen und praktisch relevante Arbeiten sind eng miteinander verknüpft.

Beispielhaft möchte ich einige Themenkreise aufzählen, wobei ich die englischen Fachtermini übernehme:

  • Graphs, Digraphs: insbesondere Perfect graphs
  • Matroids: insbesondere binary matroids
  • Polyhedral Combinatorics, Theory and Computations
  • Separation and Cutting Plane Algorithms
  • Large scale travelling salesman problems
  • Triangulation of Input-output matrices
  • Design of (tele-) communication networks, reliability, survivability
  • Optimization of Transportation Systems
  • Online Optimization

Wenn es gilt, im Rahmen der hier verfügbaren knappen Zeit nur einen einzigen Schwerpunkt herauszuheben, so sind es seine Arbeiten im Bereich der Polyhedral Computations – ein hybrider Begriff, der sowohl Polyedertheorie als auch die Entwicklung und Anwendung spezieller Algorithmen zur Lösung hochdimensionaler und theoretisch harter Optimierungsaufgaben umfasst. Hier finden sich in den Veröffentlichungen etliche besonders wichtige Resultate.

Etwa zur linearen Beschreibung von Rundreisepolytopen: die ersten Arbeiten zusammen mit seinem Mentor, Manfred Padberg, noch in Bonn entstanden. Neben den intellektuellen Fähigkeiten war hier ein gutes Maß an Durchhaltevermögen gefordert. Nicht, weil im Bonner Institut auch schon einmal die ketzerische Frage gestellt wurde, ob es denn noch nicht genug Facetten wären, die man nun schon kenne – sondern gerade wegen der sich abzeichnenden und dann auch durchzusetzenden Erkenntnis, dass es sich für viele harte Optimierungsprobleme lohnt, jahrelang und intensiv nach wichtigen Teilen der linearen Beschreibung der zugehörigen Polytope zu suchen.

Oder etwa zu den Implikationen der Ellipsoidmethode für die Kombinatorische Optimierung, zusammen mit Lazlo Lovazs und Lex Schrijver. In dieser Zusammenarbeit entstand eine der wichtigsten Monographien der Kombinatorischen Optimierung in den 80’er Jahren – ihr einziger Nachteil war es, dass ihre Veröffentlichung den vielen, die wie ich darauf warteten, allzu lange dauerte.

Oder etwa die Umsetzung der theoretischen Fundamente in brauchbaren Algorithmen zur Lösung konkreter, geschickt modellierter Probleme aus der Praxis – wie zum Beispiel in den letzten Jahren beim Öffentlichen Nahverkehr in Berlin oder beim Entwurf von Mobilfunknetzen.

Als Wissenschaftler und Persönlichkeit hat er naturgemäß viele Schüler beeindruckt und mit Ihnen erfolgreich zusammengearbeitet. Vier der 15 bisher bei ihm Promovierten sind bereits selbst Lehrstuhlinhaber und leiten Arbeitsgruppen mit verwandter Themenstellung. In Berlin, wo er zusätzlich einen Lehrstuhl an der TU erhielt, gibt er in Vorlesungen und Seminaren seine Erfahrungen mit konkreten Anwendungen der ganzzahligen und kombinatorischen Optimierung unmittelbar an die Studierenden weiter. Akademische Lehrer, die als Persönlichkeit mit Ecken und Kanten, um ein Bild im Bereich der Polytope zu wählen, ein Vorbild liefern können, werden in der öffentlichen Diskussion häufig angemahnt. Ich bin davon überzeugt, dass Martin Grötschel für die heutigen Studierenden in Mathematik und Operations Research eine solche Persönlichkeit ist. Dies auch deshalb, weil er sich der öffentlichen Diskussion stellt und stellen kann und den Kontakt mit den Medien nicht scheut und nicht scheuen muss.

Dass es ihm gelungen ist, Studierende für unsere Wissenschaft glänzend zu motivieren und das Bild unserer Wissenschaft in der Öffentlichkeit aufzuwerten, ist für mich die zweite wesentliche Begründung für die heutige Vergabe des Preises der GOR an Martin Grötschel.

Ich danke Ihnen.

Magdeburg, 1. September 1999