Laudatio auf Prof. Dr. Bernhard Fleischmann

von WOLFGANG DOMSCHKE, DARMSTADT

Foto_WissPreis2003
Der Preisträger bei seinen Dankesworten. Im Hintergrund der Vorsitzende und der Laudator

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,

die Gesellschaft für Operations Research (GOR) verleiht alle zwei Jahre den GOR-Wissenschaftspreis für ein wissenschaftliches Gesamtwerk. Der Preis wird an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben, die in ihrem Werk durch herausragende Leistungen zur Weiterentwicklung des Operations Research und/oder dessen Einsatz in der Praxis beigetragen haben. Preisträger können deutsche oder ausländische Persönlichkeiten aus Hochschulen, Forschungsinstituten oder aus der Praxis sein.

In diesem Jahr haben sich Findungskommission, Vorstand und Beirat der Gesellschaft jeweils einstimmig für Herrn Prof. Dr. Bernhard Fleischmann von der Universität Augsburg entschieden. Es ist mir eine große Freude und Ehre, einige Worte über ihn an Sie richten zu dürfen.

Bernd Fleischmann wurde 1942 in Zweibrücken in der Pfalz geboren. Von 1961 bis 67 studierte er Mathematik, zunächst in Saarbrücken. Es folgte ein Studienaufenthalt in Paris als Stipendiat der französischen Regierung, wo er seine erste Begegnung mit dem Operations Research hatte. Das Diplom erwarb er an der Universität Hamburg. Noch vor Beendigung seines Studiums erschien sein erster Aufsatz zum Thema »Computational Experience with the Algorithm of Balas«, Sie dürfen raten wo: In der amerikanischen Zeitschrift »Operations Research«, also in vielleicht der angesehensten internationalen Zeitschrift unseres Faches.

Von 1967 bis 71 war Bernd Fleischmann Assistent am Rechenzentrum der Universität Hamburg. 1971 promovierte er unter der Betreuung von Prof. Collatz mit einem Thema über »Primale und duale Schnitthyperebenen-Verfahren in der ganzzahligen linearen Optimierung«. Von 1971 bis 78 war er Mitarbeiter der Deutschen Unilever GmbH Hamburg im Bereich Operations Planning / Operations Research. Dort erwarb er sich Kenntnisse der betrieblichen Praxis, die ihm v.a. bei seinen in späteren Jahren zahlreichen erfolgreich durchgeführten Praxisprojekten sehr zugute kamen. Im Jahre 1975 wurde er unter der Betreuung der Professoren Göppl und Neumann an der Universität Karlsruhe für die Fächer Operations Research und Betriebswirtschaftslehre der Industrie habilitiert. Von 1978 bis 91 war Bernd Fleischmann Inhaber eines Lehrstuhls für Quantitative Methoden der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, und seit 1991 hat er einen Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Produktion und Logistik an der Universität Augsburg inne.

Nach diesem bloßen Auflisten von Lebensdaten möchte ich nun verschiedene Bereiche hervorheben, auf denen der zu Ehrende besondere Leistungen vollbracht hat und nach wie vor vollbringt und die unsere Gesellschaft zu dieser Preisverleihung veranlasst haben. Es sind dies sein Einsatz für unser Fach in Organisationen wie der GOR, seine Aktivitäten bei der Entwicklung und Fortentwicklung von interdisziplinär und international ausgerichteten Studiengängen und natürlich in erster Linie und – wie noch auszuführen sein wird – nicht voneinander zu trennen seine Arbeiten auf eher wissenschaftlich-theoretischem Gebiet sowie seine Erfolge im Bereich der Anwendungen des Operations Research in der betrieblichen Praxis. Seine Tätigkeiten möchte ich in dieser Reihenfolge würdigen.

Bernd Fleischmann war in vielen verschiedenen Funktionen der DGOR sowie der GOR tätig. Von 1981 bis 86 war er Mitherausgeber des OR Spektrums und leitete im selben Zeitraum die Arbeitsgruppe »Logistik« der DGOR.

  • Er war Mitglied zahlreicher Programmausschüsse unserer Jahrestagungen und im Jahre 1981 in Göttingen und 2000 in Dresden deren Vorsitzender.
  • Er agierte von 1993 bis 96, also während der »Wiedervereinigungsphase« von DGOR und GMÖOR als Präsident der DGOR und hat die Zusammenführung beider Gesellschaften wesentlich beeinflusst und gestaltet.
  • Er war mehrfach Mitglied der Jury für den EURO Award »Best Applied Paper« und im Jahre 2001 deren Vorsitzender.
  • Mit den Kollegen van Wassenhove, van Nunen und Stähly leitet er seit einigen Jahren eine internationale Arbeitsgruppe »Distributionslogistik«.
  • Er ist Initiator eines deutsch-französischen Studienganges mit Doppeldiplom, den die Universitäten Augsburg und Rennes gemeinsam seit 1998 betreiben.
  • Er war und ist an der Konzeption eines Weiterbildungs-Studiengangs »Logistik« an der Universität Rennes beteiligt und hält dort seit 2001 regelmäßig Vorlesungen.
  • Darüber hinaus ist er Mitglied des Wissenschaftl. Beirats der Deutsch-Französischen Hochschule Saarbrücken und dort Sprecher der Fachgruppe Wirtschaftswissenschaften.

Soweit aus Zeitgründen nur eine Auswahl an nationalen und internationalen Tätigkeiten Bernd Fleischmanns für unser Fach. Im Mittelpunkt einer Auszeichnung wie der vorliegenden müssen natürlich die wissenschaftlichen Leistungen des zu Ehrenden stehen. Auch hier begnüge ich mich mit einigen Aufzählungen, denn am Donnerstag, 4.9., 16:00 bis 16:45, wird er uns in einem Plenarvortrag über wichtige Ergebnisse seiner Forschungstätigkeit berichten; siehe die Wiedergabe des Vortrages in diesem Heft. Die Diplomarbeit zum Balas-Algorithmus und die resultierende Publikation in Operations Research hatte ich bereits genannt. Während seiner Assistentenzeit am Rechenzentrum der Universität Hamburg implementierte er das Dekompositionsverfahren von Benders für gemischt-ganzzahlige Optimierungsaufgaben. Aufgrund der Vielzahl eigener Ideen (veröffentlicht in dem uns älteren bekannten Werk von Collatz und Wetterling 1973) entstand ein leistungsfähiges Softwareprodukt, das den damaligen Standardprodukten – wie MPS/X von IBM – bei vielen praxisrelevanten Modellstrukturen überlegen war. Diese Software wurde von anderen Wissenschaftlern erfolgreich in deren Forschungsprojekten genutzt.

Bis dahin würde ich feststellen: Na, ja, ein sehr guter Mathematiker mit sehr ordentlichen Informatikkenntnissen. Sie erinnern sich aber sicher an seine Praxistätigkeit bei Unilever. Ergänzt um diese Erfahrungen und die im Rahmen der Habilitation erworbenen BWL-Kenntnisse entwickelte sich ein richtig guter OR-ler. Denn wir definieren auf der Homepage unserer Gesellschaft, dass man unter Operations Research die Entwicklung und den Einsatz quantitativer Modelle und Methoden zur Entscheidungsunterstützung versteht. OR sei geprägt durch die Zusammenarbeit von Mathematik, Wirtschaftswissenschaften und Informatik.

Ich kenne eine Menge vorzüglich ausgewiesener Kollegen, hervorragende Mathematiker, Betriebswirte oder Informatiker, aber keinen, der alle drei Bereiche zugleich so beherrscht und in seine Arbeiten einfließen lässt wie Bernd Fleischmann.
Seine Arbeitsweise kann man grundsätzlich wie folgt charakterisieren: Ausgehend von einer noch unbefriedigend gelösten Problemstellung (bis zur Promotion eher ein Softwareprodukt, danach zumeist ein Entscheidungsproblem aus der betrieblichen Praxis) werden die bestehenden Vorschläge in der Literatur kritisch analysiert, Gemeinsamkeiten aufgedeckt, strukturiert und mit neuen Ideen ergänzt zu einem konsistenten Lösungsverfahren zusammengefügt und praxistauglich implementiert.

Seine Publikationen lassen sich v.a. den Anwendungsgebieten »Produktion und Logistik« zuordnen. Genannt seien Beiträge in den Bereichen:

  • Supply Chain Planning
  • Bestandsanalyse und –management
  • Dynamische Tourenplanung
  • Speditionslogistik
  • Kooperation in der Distribution
  • Gestaltung von Distributionsnetzen
  • Produktionsplanung

Die den Studien zugrunde liegenden Forschungsergebnisse sind in zahlreichen Aufsätzen in den Zeitschriften Mathematical Programming, EJOR, Computers & Operations Research, OR Spektrum, Zeitschrift für Betriebswirtschaft usw. sowie in einer großen Zahl an einschlägigen Sammelwerken mit Themenstellungen wie »Supply Chain Management« oder »Optimierung in Verkehr und Transport« erschienen.

Die Erkenntnisse sind in Softwareprodukte eingeflossen, die in der Praxis mit großem Erfolg eingesetzt wurden, wie

  • DISI (Optimierung von Distributionsnetzen in der Konsumgüterindustrie)
  • TOPFIT (Tourenplanung im Fernverkehr)
  • PROTOUR (Touren- und Gebietsplanung für Spediteure)
  • BOSS (Gestaltung von Speditionsnetzen für Sammelgut)

Nutznießer Fleischmannscher Praxisprojekte, bei denen er sich i.d.R. allein mit dem Erkenntnisfortschritt begnügte und nicht pekuniären Neigungen nachging, waren zahlreiche Logistikdienstleister, aber auch Unternehmen der Automobilindustrie (Daimler-Benz, BMW), der Lebensmittelindustrie (wie Unilever, Müller-Milch, Bahlsen) und der Elektroindustrie (Osram, Philips, Siemens).

Bernd Fleischmann hat mit seinem bisherigen Gesamtwerk einen bedeutenden Beitrag für die Entwicklung des Operations Research in der Forschung und deren Umsetzung in die betriebliche Praxis geleistet und dafür auch international hohe Anerkennung erzielt; so zum Beispiel mit seinen Veröffentlichungen zu:

  • Schnittebenen für das Travelling Salesman Problem
  • Modellen und Lösungsverfahren für das Diskrete Lot-sizing and Scheduling Problem
  • Modellen zur Gestaltung von Distributionsnetzen bei nicht-linearen Kostenfunktionen und deren Lösung sowie mehreren Varianten der Tourenplanung (z.B. mit Zeitfenstern oder zeitabhängigen Fahrzeiten).

In Zusammenarbeit mit mehreren Kollegen hat er 1994 in einem in der Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung erschienenen Aufsatz »Konzeptionelle Grundlagen kapazitätsorientierter Produktionsplanungs und –steuerungssysteme« entwickelt und damit wesentlich dazu beigetragen, dass Softwarehersteller wie SAP mittlerweile verstärkt Optimierungsmodule in ihre PPS-Software integrieren.

Im Rahmen zahlreicher gemeinsam besuchter Tagungen und Workshops hat mich Bernd Fleischmann mit seinem Fachwissen tief beeindruckt. Wer aber glaubt, dass neben der fachlichen Tätigkeit kein Raum für andere Dinge bleibt, der irrt bei ihm gewaltig. Nicht minder beeindruckend sind seine Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der klassischen Musik. Bernd Fleischmann ist zusammen mit seiner Gattin aktives Mitglied eines Kirchenchores. Er spielt darüber hinaus – nicht nur im OR – die erste Geige in einem Steichquartett sowie im »Neuen Schwäbischen Sinfonieorchester«.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir in der Person von Bernd Fleischmann einem würdigen Mann den Wissenschaftspreis unserer Gesellschaft verleihen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.