OR 2014 in Aachen
von Georg Pflug, Wien
Aachen ist – wie man weiß – die wichtigste Königspfalz Karls des Großen, obwohl dieser zwischen verschiedenen Königspfalzen regelmäßig herumreiste und damit sicher Probleme mit der Logistik hatte. Er starb 814, also vor 1200 Jahren – Grund genug, um in Aachen ein »Karlsjahr« auszurufen, was auch einen Aufhänger für die diesjährige Jahrestagung der GOR bildete.
Diese Jahrestagung stand unter dem Motto »Business Analytics and Optimization«, ein Motto, das zum Audruck brachte, dass mit dieser Tagung Praktiker und Leute aus der akademischen Welt gleichermaßen angesprochen werden sollen.
Der Berichterstatter ist offen gesagt skeptisch, was die Novität des Begriffs »Business Analytics« betrifft, denn Datenerhebung, Datamining, Statistische Analyse, Modellierung und schließlich Optimierung gehörten schon immer zusammen. Schon die ersten Beispiele von Dantzig zur Anwendung der Simplexmethode für Transportprobleme enthielten stochastiche Komponenten, die auf Schätzungen beruhten und diese stochastische, datenanalytische Sicht von Optimierungsproblemen hat sich in den letzten Jahren verstärkt.
In der akademischen Forschung geht man aber mehr in die Tiefe und behandelt oft nur einen Aspekt, diesen aber gründlich, während in der Praxis eher die breite, umfassendere Sicht im Vordergrund steht. Jedenfalls sind oft neue (oder eben scheinbar neue) Herangehensweisen durchaus ein Anziehungspunkt für Praktiker und es tut einer solchen Tagung sicher gut, hier nach außen Akzente zu setzen.
Die Zielgruppe der Praktiker wurde durch den Business-day (Mittwoch) angesprochen, an dem Vertreter der Firmen Niederländische Staatsbahnen, PTV group, Fraport, Deutsche Post, Ab Ovo, Kisters, ProCom, Air Liquide, Orconomy, Wincor Nixdorf International, X-Integrate und Siemens von ihren Erfahrungen mit OR Methoden berichteten und diese auch gegenseitig austauschten. Nach Aussagen dieser Zielgruppe ein voller Erfolg!
Doch nun zum wissenschaftlichen Programm, das wiederum in mehr methodologische und mehr anwendungsorientierte Teilbereiche zerfiel. Erfreulich war, dass viele mathematisch orientierte Optimierer teilnahmen und damit ihr Interesse an der breiteren Aufgabenstellung des Operations Research bekundeten.
Eckpunkte des Programms waren die beiden Plenarvorträge: der Eröffnungsvortrag von Michael Trick (Carnegie-Mellon) über seine Arbeiten zum optimalen Scheduling von Sportveranstaltungen und der Schlußvortrag von Brenda Dietrich (IBM) über die neuesten Erfolge im Bereich des kognitiven Computing. Die wesentliche Aussage von M. Trick war, dass genaue statistische Daten über Besuch und Spendierfreudigkeit von Besuchern von Sportveranstaltungen die Grundlage für die Optimierung bedeutend verbesssern können. B. Dietrich stellte den Stand der Dinge in der natürlichsprachlichen Verarbeitung von Texten und Informationen vor, wobei es offenbar gelingt, durch die Verbindung riesiger Daten- und Wissensbanken die richtigen Antworten auf textuell eingegebene Quizfragen automatisiert mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit zu geben. So interessant dies ist, so bleibt doch die Hoffnung, dass künftige Generationen trotzdem das eigene Köpfchen zum Speichern von Wissen aus Geschichte, Geografie, Literatur etc. benutzen und sich nicht nur auf elektronische Datenbanken verlassen.
Als semi-plenare Sprecher konnten die folgenden Personen gewonnen werden: D. Barber (UC London) sprach über Lernalgorithmen, A. Ben-Tal (Technion Haifa) gab einen allgemeinen Überblick über Erfolgsstories der Optimierung, S. Boyd (Stanford) berichtete über verteilte konvexe Optimierung. K. Dörner (U Wien) sprach über hybride Optimierungalgorithmen, die heuristische mit exakten Verfahren kombinieren, J. Fransoo (Eindhoven) hatte die (horizontale) Kooperation zwischen Firmen im supply chain management zum Thema. P. Gritzmann (München) berichtete über neuere Datensegmentierungsalgorithmen, die auf Optimierung basieren, E. Lee (Georgia Tech) hatte eine wichtige Anwendung von Optimierungmethoden in der Krebstherapie zum Thema. Der Vertreter der Deutschen Post, A. Marschner, stellte die Aktivitäten seiner Firma im Bereich der Netzwerkoptimierung vor, L. McLay (U Wisconsin-Madison) sprach über OR Methoden in der Notfallsmedizin, J.-F. Puget (IBM) thematisierte Probleme und Lösungen bei großen Datenmengen (Big Data). Schlussendlich hielt M. Rönnquist (Laval) einen Vortrag über die Optimerung der Wertschöpfungskette in den Bereichen Forst- und Montanwirtschaft und R. Vohra (U Pennsylvania) sprach über neue Modelle von Assignmentproblemen.
Das weitere Programm umfaßte über 500 Vorträge und war insgesamt 19 Streams zugeordnet. Der Parallelisierungsgrad war bis zu 24.
Eine wichtige Aufgabe dieser Tagungen ist die Förderung von Jungwissenschaftlern. Diesem Ziel widmete sich das »Emerging Scholar Program«, welches an einem Halbtag junge Wissenschaftler aus dem Deutschen Sprachraum zusammenbrachte und ihnen einen Erfahrungsaustausch untereinander und mit »gestandenen« Wissenschaftlern ermöglichte.
Demselben Ziel dienen auch die jährlichen Ehrungen von Studierenden in der Form der »GOR Master Awards« für hervorragende Master- und Diplomarbeiten und der »GOR Dissertation Awards« für hervorragende Dissertationen. In der ersten Gruppe wurden S. Goderbauer, A. Schütz und A. Wiehl geehrt, in der zweiten A. Fischer, M. Karbstein, M. Kutschka und C. Schlebusch.
Wenn schon von Preisen gesprochen wird, so ist auch der GOR Unternehmenspreis zu erwähnen, der dieses Jahr an die Firma SimPlan AG ging.
Traditionell sind auch die Pre-Conference Workshops, die dazu dienen, Optimierungssoftware von den Anbietern vorgestellt zu bekommen und die neusten Entwicklungen zu erfahren. Es waren AIMMS, GAMS, Gurobi und IBM-ILOG-CPLEX vertreten.
Last but not least gilt es, das Sozialprogramm zu würdigen, das ja nicht nur dem Zweck der Unterhaltung dient sondern auch oft die Basis für Kooperationen und weitere Aktivitäten bildet.
Am Ankunftstag wurde vor den Toren der Universitätsgebäude gegrillt und Musik gemacht, gesponsort von der Deutschen Post. Am nächsten Tag traf man sich in der beeindruckenden Aula Carolina zu Snacks und Getränken, schließlich fand am letzten Abend das Konferenzdinner im exklusiven Quellenhof Hotel bei hervorrgendem Essen und Jazzmusik statt. Der Name Quellenhof erinnert daran, dass Aachen auch als Badeort von Bedeutung ist – entspringen doch dort einige warme und schwefelhaltige Quellen.
Insgesamt kann der Berichterstatter nur ein uneingeschränktes Lob den Organisatoren, insbesondere dem spritus rector Marco Lübbecke aussprechen. Es war eine der besten, wenn nicht die beste Tagung, die ich je besucht habe, in Bezug auf das wissenschaftliche Programm, das Sozialprogramm, die Verpflegung »rund um die Uhr« sowie den reibungslosen Ablauf, bedingt durch die vielen studentischen Helfer.
Es ist hervorragend gelungen, die Industrieinteressen und die akademischen Interessen unter einen Hut zu bringen.
Vielen Dank für die tolle Organisation!