Verleihung der Dissertationspreise 2011
von LEENA SUHL, PADERBORN
Durch eine großzügige Spende der BASF SE konnten in diesem Jahr vier hervorragende Dissertationen in Operations Research mit dem GOR-Dissertationspreis ausgezeichnet werden. Die Preise wurden im Rahmen der Eröffnungssitzung der diesjährigen Tagung OR 2011 in Zürich verliehen. Davor hatte die Jury die schwierige Aufgabe, aus zahlreichen ausgezeichneten Einreichungen in einem sorgfältigen Auswahlprozess bis zu vier Preisträgern auszuwählen. Mitglieder der Jury waren die Professoren Josef Kallrath, Sven O. Krumke, Peter Letmathe, Leena Suhl (Vorsitz) und Grit Walther.
Am 31.8.2011 wurden die folgenden jungen Wissenschaftler – in alphabetischer Reihenfolge – für ihre Doktorarbeiten feierlich ausgezeichnet:
- Juliane Dunkel, Ph.D.: »The Gomory-Chvátal Closure: Polyhedrality, Complexity, and Extensions« (Massachusetts Institute of Technology, Operations Research Center, Betreuer: Prof. Dr. Andreas S. Schulz)
- Dr. Nam-Dung Hoàng: »Algorithmic Cost Allocation Games: Theory and Applications« (Technische Universität Berlin, Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik, Betreuer: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Martin Grötschel)
- Steffen Rebennack, Ph.D.: »A Unified State-Space and Scenario Tree Framework for Multi-Stage Stochastic Optimization: An Application to Emission-Constrained Hydro-Thermal Scheduling« (University of Florida, Industrial & Systems Engineering, Betreuer: Prof. Dr. Panos M. Pardalos)
- Dr. Steffen Schorpp: »Dynamic Fleet Management for International Truck Transportation focusing on Occasional Transportation Tasks« (Universität Augsburg, Lehrstuhl für Produktion und Logistik, Betreuer: Prof. Dr. Bernhard Fleischmann)
Für den Sponsor BASF war Herr Arno Bingemann an der Preisverleihung beteiligt und gratulierte zusammen mit den GOR-Repräsentaten den Preisträgern ganz herzlich zu ihrer Leistung. Die Themen der prämierten Dissertationen spiegeln ein breites Spektrum aus Theorie und Praxis des Operations Research wider:
Bei der Dissertation von Juliane Dunkel handelt es sich um eine theoretische Arbeit, deren Schwerpunkt auf der Polyedertheorie liegt. Frau Dunkel beantwortet eine Frage aus der Theorie der ganzzahligen Optimierung, die trotz intensiver Bemühungen über dreißig Jahre hin offen blieb. Seit 1980 ist für rationale Polyeder bekannt, dass der Gomory-Chvátal-Abschluss ein Polyeder bildet. Ein zentrales Ergebnis von Frau Dunkel in ihrer Arbeit ist das entsprechende Ergebnis für allgemeine, d.h. nicht notwendigerweise rationale, Polyeder. Der Beweis selbst ist höchst nicht trivial, umfasst 60 Seiten und benutzt neben polyedrischen Argumenten und solchen aus der konvexen Analysis auch Methoden aus der Geometrie der Zahlen. Frau Dunkel gelingt es, mit äußerst trickreichen Techniken eine zentrale Frage der Polyedertheorie zu lösen und somit ein tiefes und bedeutsames theoretisches Ergebnis zu erreichen.
Nam-Dung Hoàng widmet seine Doktorarbeit Kostenallokationsproblemen, die entstehen, wenn mehrere Spieler gemeinsam die Kosten für die Errichtung oder Nutzung einer gemeinsam genutzten Infrastruktur übernehmen sollen. Hierbei setzt Herr Hoàng die mathematische Spieltheorie als Instrument ein. Er fasst die Kostenallokationsspiele als lineare Programme auf und stellt ein von ihm entwickeltes Fairnessverteilung-Diagramm vor, welches die grafische Darstellung der Situation aller betrachteten Koalitionen erlaubt. Die Anwendung der Modelle bleibt nicht auf kleine Probleme geringer Praxisrelevanz beschränkt, sondern Herrn Hoàng gelingt die Berechnung von Kostenallokationen für komplexe, praxisrelevante Infrastrukturmaßnahmen mit einer großen Anzahl beteiligter Akteure und schwierigen Kostenfunktionen. Die Arbeit verbindet tiefgreifende theoretische Ergebnisse über Komplexität und Berechenbarkeit von spieltheoretischen Konzepten erfolgreich mit praktischen Anwendungen.
Die Arbeit von Steffen Rebennack beschäftigt sich mit der mittelfristigen Planung und Steuerung eines Wasserkraftwerks. Diese Problemstellung führt aufgrund der Unsicherheiten in mehreren Eingangsparametern (wie Treibstoffkosten und Energiebedarf) auf mehrstufige stochastische Optimierungsprobleme, die in einfacherer Form bereits in der Literatur betrachtet wurden. Die Hauptergebnisse von Herrn Rebennack sind die Integration von einigen wichtigen Erweiterungen in die Modellierung und das Lösungsverfahren Stochastic Dual Dynamic Programming (SDDP). Er zeigt in der Arbeit, wie sich Szenarienbäume mit SDDP kombinieren lassen. Dieses Ergebnis verbindet in innovativer Weise die unterschiedlichen Lösungsrichtungen »Szenarienbaum« und »Markov-Kette« in der stochastischen Optimierung. Die neuen Ergebnisse in der Modellierung und der Lösung werden von einer konkreten Problemstellung im Kontext der Wasserkraftwerke getrieben. Die Arbeit ist somit methodisch sehr interessant und liefert gleichzeitig praxisrelevante neue Ergebnisse.
Steffen Schorpp betrachtet in seiner Dissertation dynamische Tourenplanung speziell für den internationalen Gelegenheitsverkehr in europäischen Speditionen. Damit hat er ein Thema gewählt, das zwar auf vielen früheren Forschungsansätzen basiert, aber in der OR-Literatur bisher kaum betrachtet wurde. Insbesondere neu ist die Betrachtung der wichtigsten Praxisrestriktionen, wie Lenk- und Ruhezeiten, Arbeitszeiten und Fahrverbote. In der Arbeit werden zwei dynamische Planungsmethoden entwickelt, softwaretechnisch umgesetzt und mit Testdaten validiert und evaluiert. Die Dissertation ist insgesamt ein hervorragendes Beispiel einer OR-Arbeit, die neue Modelle und Lösungsmethoden für eine komplexe, wichtige Aufgabenstellung aus der Praxis entwickelt und für die Praxis erfolgreich umsetzt. Die Arbeit ist sowohl aus der methodischen Sicht sehr hochwertig als auch direkt für die Praxis anwendbar.
Alle prämierten Arbeiten wurden auf der OR 2011 mit Vorträgen präsentiert, wobei die vielen interessierten Zuhörer sich von den beeindruckenden Ergebnissen überzeugen konnten sowie durch die Begeisterung der jungen Forscher mitgerissen wurden.