Verleihung der Dissertationspreise 2010

von KARL INDERFURTH, MAGDEBURG

Die Dissertationspreise 2010 der GOR wurden im Rahmen der Eröffnungssitzung der diesjährigen Tagung OR 2010 in München verliehen. Diese Preise, die für hervorragende Dissertationen auf dem Gebiet des OR vergeben werden, wurden großzügigerweise von der BASF SE gestiftet. Der Jury zur Auswahl der Preisträger gehörten neben Frau Dr. Anna Schreieck (BASF) die Professoren Karl Inderfurth (Magdeburg), Stefan Nickel (Karlsruhe) und als Vorsitzender Uwe Zimmermann (Braunschweig) an.

In diesem Jahr hatten die Juroren 15 eingereichte Arbeiten zu beurteilen, von denen eine große Anzahl von ganz ausgezeichneter Qualität war. Dies macht einerseits deutlich, dass man sich um die Zukunft des Nachwuchses in unserem Fach keine Sorgen zu machen braucht, brachte aber andererseits eine nicht unerhebliche Qual der Wahl mit sich. Im Ergebnis konnte sich die Jury nach sorgfältigem Auswahlprozess aber einmütig auf vier Preisträger einigen, deren Arbeiten besonders herausragten. Äußerst erfreulich ist dabei, dass sich unter den Ausgewählten in diesem Jahr auch wieder eine Nachwuchswissenschaftlerin befindet.

Im Einzelnen wurden mit den Dissertationspreisen 2010 – in alphabetischer Reihenfolge – die folgenden jungen Wissenschaftler für ihre Doktorarbeiten ausgezeichnet:

  • Dr. Gabrio Caimi: Algorithmic Decision Support for Train Scheduling in a Large and Highly Utilised Railway Network
    (ETH Zürich, Betreuer: Prof. Dr. H.-J. Lüthi)
  • Dr. Benjamin Hiller: Online Optimization: Probabilistic Analysis and Algorithm Engineering
    (TU Berlin, Betreuer: Prof. Dr. Dr. h. c. M. Grötschel)
  • Dr. Debora Mahlke: A Scenario Tree-Based Decomposition for Solving Multistage Stochastic Programs with Application in Energy Production
    (TU Darmstadt, Betreuer: Prof. Dr. A. Martin)
  • Dr. Florian Sahling: Mehrstufige Losgrößenplanung bei Kapazitätsrestriktionen
    (Universität Hannover, Betreuer: Prof. Dr. S. Helber)

Foto_Disspreis2010

An der Preisverleihung war für den Sponsor BASF auch Dr. Robert Blackburn (Senior Vice President BASF Global Supply Chain Operations) beteiligt, der den Preisträgern ganz herzlich zu ihrer Leistung gratulierte. Jurymitglied Prof. Inderfurth gab in seiner Laudatio einen kleinen Einblick in die prämierten Dissertationen und würdigte die besonderen wissenschaftlichen Beiträge der einzelnen Arbeiten.

Gabrio Caimi behandelt in seiner Arbeit das Problem der Fahrplanoptimierung in großen und stark ausgelasteten Eisenbahnnetzen, das für den Planer in der Praxis eine immense Herausforderung darstellt. Mit dem von ihm entwickelten zweistufigen gekoppelten Ansatz gelingt es ihm, aufeinander abgestimmte globale Fahrpläne im makroskopischen und detaillierte Ablaufpläne im mikroskopischen Bereich zu generieren, die allen realen Anforderungen vollständig genügen. Die Arbeit überzeugt insbesondere auch durch eine innovative Problemmodellierung, die es ermöglicht, unter Einsatz von CPLEX für ein reales Netzwerk wie dasjenige der Region Luzern in der Schweiz einsatzfähige Pläne zu entwickeln.

In der Dissertation von Benjamin Hiller werden Untersuchungen zur praktischen Einsatzfähigkeit von Reoptimierungsalgorithmen sowie Vorschläge zur Entwicklung eines neuen allgemeinen Ansatzes zur Bewertung von Online-Algorithmen vorgestellt. Im ersten Teil wird mittels Simulationsstudien für Online-Planungsprobleme der ADAC-Pannenhilfe und der Aufzugssteuerung in Hochhäusern konkret gezeigt, welche Algorithmen aus einem Pool bekannter bzw. selbst entwickelter echtzeitfähiger Verfahren die günstigsten Eigenschaften haben. Im zweiten Teil wird die stochastische Dominanz als ein neues Bewertungskonzept zum Vergleich von Online-Algorithmen eingeführt. An zwei Problemgruppen wird gezeigt, dass dieses Konzept – anders als gängige Bewertungsmethoden – Beobachtungen aus der Praxis zur Einschätzung von Algorithmen sehr gut erklären kann. Damit stellt die Arbeit eine ausgezeichnete Kombination von praktisch nützlichen und theoretisch anspruchsvollen Beiträgen zum OR dar.

Debora Mahlke befasst sich in ihrer Arbeit vom Anwendungsbezug her mit der Frage, inwieweit der Einsatz von Energiespeichern einen Beitrag zur verbesserten Integration von Strom aus mehreren Energiequellen in das Versorgungsnetz leisten kann, wobei einzelne Quellen wie die Windenergie nur unsicher verfügbar sind. Die Modellierung dieses hochkomplexen Problems mit starken technischen Komponenten erfolgt über ein mehrstufiges, gemischt-ganzzahliges stochastisches Optimierungsmodell auf Basis eines multivariaten Szenariobaums. Die besondere Leistung in dieser Arbeit besteht sowohl in der kenntnisreichen geschickten Modellierung als auch in der Entwicklung eines innovativen Lösungsverfahrens auf Basis eines neuartigen flexiblen Dekompositionsansatzes. Mit diesem Ansatz gelingt es, auch hochdimensionale realitätsnahe Testinstanzen erfolgreich zu lösen.

In seiner Dissertation beschäftigt sich Florian Sahling mit der generellen Problematik der kapazitierten mehrstufigen Losgrößenplanung, die eine zentrale Rolle im Rahmen der Produktionsplanung und -steuerung bei Serienproduktion spielt. Das klassische Standardproblem des MLCLSP (Multi-Level Capacitated Lot Sizing Problem) wird um einige für die Praxis sehr wichtige Aspekte ergänzt sowie in erweiterter Form auf ein praktisches Anwendungsproblem übertragen. Für das sich dahinter verbergende NP-schwere gemischt-ganzzahlige Optimierungsproblem werden sehr intelligente Heuristiken auf Basis eines Fix&Optimize-Ansatzes entwickelt. Für die dabei notwendige Zerlegung in Subprobleme werden in systematischer Weise problemspezifische Dekompositionsansätze kombiniert. Im Ergebnis lassen sich damit heuristische Lösungsansätze generieren, die allen bisher bekannten Heuristiken in so gut wie allen Belangen deutlich überlegen sind, wie numerische Tests für in der Literatur bekannte Testbeispiele eindrucksvoll belegen.

Alle vier prämierten Arbeiten haben sich schon in Veröffentlichungen in hochrangigen internationalen Zeitschriften niedergeschlagen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie sich mit wichtigen praktischen Planungsproblemen befassen und unter souveräner Beherrschung fortgeschrittener OR-Methoden innovative Lösungsansätze von beeindruckender Leistungsfähigkeit entwickeln. Hiervon konnten sich auch die vielen Zuhörer überzeugen, die in der im Tagungsprogramm vorgesehenen Sitzung zur Präsentation der prämierten Arbeiten die Vorträge der vier Preisträger verfolgten.